Ethik-Begriff
„Es gibt für mich nur ein Motiv, Kunst zu gestalten, zu verwirklichen: Die bildliche Darstellung dessen, das ich „Geistiges Licht“ (Die Große Wahrheit) nenne; darzustellen auf die Art, dass ich mich ihm so weit wie möglich nähere. Ich gehe dabei von einer Ethik aus (auch einer Ethik der Kunst), die sich von der formulierten Ethik der traditionellen Philosophie unterscheidet, die an Moral und Sittlichkeit und an deren unterschiedlichen An- und Verwendbarkeit orientiert ist und diese in diesem Sinne beschreibt, wertet und publiziert: Es wird dort von normativer Ethik und Meta-Ethik gesprochen und der Eindruck vermittelt, als wäre Ethik eine selbständige Größe, die für sich steht und entweder nur von theoretischem Interesse wäre oder als verwendbares Instrument dazu, bestehende Formen der Sittlichkeit beschreibend zu betrachten oder zu korrigieren. Dabei bleibt sie an der Oberfläche des als Sittlichkeit Verstandenen und bestärkt bestehendes Nichtverstehen dadurch, dass sie selbst den Bereitwilligen dazu verleitet, dasjenige als Ethik zu betrachten, was ihm in einer Vielzahl von Ethik-Schriften von der traditionellen Philosophie als Ethik anhand von unterschiedlichen Ethik-Publikationen geliefert wird.
Auffällig an diesen Texten ist es, dass sie sich im Kreise einer wissenschaftlichen Interpretationsskala bewegen, die sie nicht verlassen, und sorgfältig die Antwort auf die Frage vermeiden, was denn Ethik substanziell sei – wenn wir im Zusammenhang mit Ethik von Substanz sprechen wollen.
Ausgelassen bei dieser Art der Ethik-Betrachtung bleiben zwei wesentliche Gesichtspunkte. Zum einen bleibt die wesentliche und grundsätzliche Verbundenheit und Zusammengehörigkeit aller Erscheinungsformen) unangesprochen, deren Erkenntnis die Basis für jede Form der Kultur darstellt; zum anderen wird kein Weg aufgezeigt, wie Ethik im Einzelwesen, also im einzelnen Menschen, zu verwirklichen sei.
Die Annahme, dass der lesende, denkende und verstehende Mensch allein durch die Lektüre ethischer Texte, die sich zudem an der Peripherie der Frage bewegen, zu einer inneren und äußeren Erweiterung ethischer Gehalte kommen würde, ist nicht nur fragwürdig, sondern ebenso unzutreffend wie der Wunsch, durch Text oder Vortrag einem Menschen ein bestimmtes, überragendes Talent beizubringen.
Verbreiterung des ethischen Gehaltes eines Menschen geschieht – zunächst – in dem betreffenden Menschen; dies hängt mit einem Erlebnis zusammen; ist das Erlebnis Lektüre, die den Kern der Sache nicht trifft, bleibt das Erlebnis aus.
Da die traditionelle Philosophie Ethik in Bezug setzt zu Moral, Sittlichkeit, Religion und Sozialverhalten – ethischen Normen also in sich – und von Mensch, Natur und Ding trennt, baut sie das Bild von Getrenntsein auf, vergrößert also die Distanz zwischen den inneren und äußeren Bereichen der Menschen, der Natur und der Dinge und entfernt somit den Menschen von sich, dem Gegenüber, der Natur und den Dingen, anstatt den Menschen aufzuklären darüber, dass er Bestandteil ist, dass er verbunden ist mit allen und allem Lebendigen!
Diese Einsicht kann er nicht gewinnen oder wiedergewinnen und somit auch nicht seinen inneren ethischen Bereicherweitern – also das Empfinden des Eins-Seins auf allen Ebenen mit allem –, wenn er sich nicht klar macht, dass die trennenden Dinge außerhalb von ihm liegen – dass sie nicht seine wahre, ihn mit allem verbindende Natur sind.
Diese wahre Natur des Menschen ist Ethik. Es ist sein klarer oder geklärter innerer Bereich – und in diesem Bereichund von diesem Bereich aus ist er mit allem verbunden – mit allen positiven Kräften, die in und um ihn sind. Von da aus ist er auch mit den Kräften verbunden, die nicht mit dem elementhaft Irdischen verbunden sind. Es ist eine lebendige, alles umfassende Kraft, die nichts leugnet, mit allem verbunden ist und das immerwährende Gesetz des Lichten Kreislaufes führt und ist.
Diese Kraft kann der „Lichte Geist“ oder „Die Große Wahrheit“ genannt werden.“ 1
- Aus dem „Kunstkonzept“ ↩︎